Tarjei Vesaas: Der Keim

Rezension von Carola Nikschick in der Kategorie Buchtipps

Tarjei Vesaas Bücher sind für mich etwas ganz Besonderes. Atmosphärisch, bildgewaltig und mit einer sprachlichen Intensität, mit außergewöhnlichen und wunderbaren Wortspielereien und Satzgeflechten erzählen sie vom Menschsein.

„Das Eis-Schloss” und “Die Vögel” waren dank der Übersetzung durch Hinrich Schmidt-Henkel für mich schon literarische Kostbarkeiten, die ich allerdings nur entdecken konnte, weil der Guggolz Verlag sie für uns neu übersetzen lies und wunderschön gestaltet hat.
Und jetzt „Der Keim“ – eine aufrüttelnde Geschichte!
Eine kleine Insel, auf der die Menschen auf unterschiedlichste Weise miteinander verbunden sind, gegenseitig ihre Leben beobachten, teilnehmen und beurteilen. Ein Fremder betritt die Insel, von einer inneren Unruhe gepackt, getrieben und auf der Suche nach Ruhe und innerem Frieden. Traumatisiert durch ein schweres Explosionsunglück irrt er in der Welt umher. Jetzt, auf dieser Insel, glaubt er es zu finden.
Und dann ein Schrei, der die Luft zerschneidet und alles erstarren lässt und das Wort – Mord rast wie ein Lauffeuer über die Insel und ergreift sie alle. Hass, Wut und Rache machen die Menschen blind gegen alle Vernunft.
“Eine wilde Raserei ergriff sie. Sie wussten nicht, dass so etwas im Handumdrehen geschehen konnte. Aber jetzt. Sie stürmten drauf zu, wurden immer mehr, ein Rudel.”
“In jedem Haus zündete das Feuer.”
Sie treiben den Mann, der das junge Mädchen getötet hat, in die Enge, sind über ihn und schlagen zu. Sie waren wie von Sinnen, fassungslos und entsetzt.
“In ihrer Angst jetzt zogen sie sich schwergliedirg und mühsam zurück, das Gesicht dem Boden zugewandt. Sie sahen sich selbst und fragten: Wer bist du? Und antworteten trotzig: Ich habe nicht gewusst, dass ich so bin.”
Die intensive Nähe zu seinen Figuren, die aufgeladene und greifbare Stimmung, die Auseinandersetzung mit der Frage der Schuld und der Suche nach Vergebung und der Möglichkeit wie können alle Beteiligten weiterleben haben mich bis zum Schluss nicht losgelassen. Die vielen kleinen Details, der genaue Blick auf die Menschen, die Menschlichkeit bei all dem Schrecklichen, das macht auch dieses Buch wieder zu einem besonderen Leseerlebnis.

Wozu ist der Mensch fähig, wenn Hass, Wut, Gewalt und Angst von ihm Besitz ergreifen?
Ein Roman, der für mich nichts an Aktualität verloren hat.

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