Sebastian Barry: „Jenseits aller Zeit“

Rezension von Christiane Hoffmeister in der Kategorie Buchtipps

Buchcover Sebastian Barry: Jenseits aller Zeit

„Jenseits aller Zeit“ von Sebastian Barry ist ein echtes Schmuckstück. So viele schöne Sätze, die ich alle anstreichen möchte, habe ich lange nicht gelesen. Detective Sergeant Tom Kettle ist seit 9 Monaten pensioniert, lebt allein in einem kleinen irischen Hafenort und schaut auf die gegenüberliegende Insel. „Er war nie dort gewesen, er wollte nicht, er war zufrieden damit, einfach nur hinauszuschauen. Das war für ihn Sinn und Zweck des Ruhestands, des Daseins überhaupt – unbewegt dazusitzen, glücklich und nutzlos zu sein.“ Doch so einfach ist es nicht. Zwei frühere Kollegen klopfen an seine Tür. Noch denkt Tom, dass sie Hilfe bei einem Fall benötigen, doch schon bald ist klar, dass er selbst unter Verdacht steht. Ein Fall, der schon Jahre zurückliegt, der nie vollständig geklärt wurde und alte Wunden wieder aufreißt. Stopp, es klingt wie ein Krimi, doch genau das ist dieses Buch nicht. Es ist ein Rückblick auf ein Leben und eine Zeit, die gespickt ist mit schlechten Erinnerungen. Erinnerungen, die manchmal trügen, die nicht mehr ganz klar sind. Seine Kinder Winnie und Joe tauchen immer wieder auf, und man könnte glauben, dass sie noch am Leben sind. Doch genau wie sie ist auch seine Frau June bereits verstorben. June, diese einzig große Liebe, die wie Tom in einem Waisenhaus aufwuchs und dort permanenter sexueller Gewalt ausgesetzt war. Alles wurde vertuscht und unter dem Deckmantel der Kirche totgeschwiegen. Bis es dann irgendwann an die Oberfläche kommt und Tom und June einen eigenen Weg gehen, um die Vergangenheit zu bewältigen. Es klingt so traurig, dabei hat dieses Buch auch so viel trockenen Humor und so viel Liebe. „Eine Stunde lang, während das morgendliche Licht in sein Zimmer fiel und sein Gesicht beschien, kümmerte er sich um nichts und niemanden. Er wiegte die Erinnerung an seine Frau, als sei June noch ein lebendiges Wesen. Als sei niemand zerschmettert, niemand aus den Sälen des Lebens vertrieben worden, und die Kraft seiner Liebe könnte genau dies bewirken: sie immer heiter in der Umarmung eines gewöhnlichen Tages zu halten.“

Von Hans-Christian Oser aus dem Englischen übersetzt.

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