Sie ist 50, etablierte Allgemeinmedizinerin, Ehefrau und Mutter erwachsener Kinder. Sie ist völlig festgefahren in ihrem reizlosen Alltag und ihren traurigen Routinen. Nach getaner Arbeit legt sie sich mit viel viel Weißwein auf die Couch und schaut Serien, bis sie einschläft. Ihr Mann ist Skilaufen, oder Rollskilaufen, oder Joggen, oder Klettern, oder Kajaken. Meistens ist er einfach nicht da. Und wenn er da ist, dann ist er in Gedanken schon wieder weg.
Elin hat eigentlich alles. Einen Job, in dem sie gut ist, ein Haus, einen Mann und Kinder. Mit der Zeit aber verliert alles an Farbe, graut immer mehr aus. Was aus Pragmatismus beginnt, schleicht sich in den Alltag ein: Elin macht den Haushalt, weil Aksel kein Problem darin sieht, in zwei Monate altem Bettzeug zu schlafen oder dass der Küchenboden knirscht beim Drüberlaufen. Elin macht die Kinder, denn wenn Aksel die Urlaubstasche packt, ist kein Badeanzug dabei, kein Schnuffeltuch oder keine Regenjacke. Es ist wie es ist bei vielen Paaren und die beiden haben sich, nun da die Kinder aus dem Haus sind, eingenistet und jeder macht irgendwie sein Ding. Harmonisch, wenn das Nichtansprechen des hohen Alkoholkonsums auf der einen, und der Zerstörung des Körpers und Geldbeutels durch Extremsport auf der anderen Seite, als harmonisch gilt.
Und aus diesem tristen Leben heraus stolpert Elin in eine Affäre mit ihrem Ex-Freund aus der Jugend. Schon damals fand sie ihn vielerlei Hinsicht unzulänglich und auch heute kann sie sich ihrer inneren Ambivalenz nicht ganz entziehen. Aber Elin geht mit einem Gefühl von Schuldigsein durch die Welt und wenn jemand nett ist oder etwas fragt oder Hilfe braucht, dann fühlt sie sich verpflichtet, zu antworten. Und so schreibt sie Bjorn zurück, wenn er sie wiedersehen will, wenn er „ich liebe dich“ schreibt und alles nimmt seinen Lauf.
Wir lernen Elin kennen, als die Affäre nach einem Jahr gerade aufgeflogen ist und sie in ihrer Praxis schläft. Da liest man natürlich, wie es dazu kam, wie es damit ging und wie es jetzt ist. Aber da schaut man auch ganz tief in sie als Mensch und Ärztin hinein. Denn viele ihrer Patient:innen und deren Termin bei ihr beschreibt sie ohne Zurückhaltung. Durch ihre jahrelange Erfahrung, das Erleben der Veränderung im Verhalten, dem Anspruch der Patient:innen und ihrem eigenen Drama, hat sich ihr gutmenschlicher Schleier verflüchtigt. Jetzt schaut sie auf diese Menschen mit objektiver Verachtung, Gelangweiltheit, Mitleid. Was sie in ihrer nüchternen, zerstörten Art über die Menschen und das Leben zu sagen hat, fand ich sehr interessant.
Eine Geschichte also, über eine norwegische Frau und ihr Innenleben. Mal ganz genau draufgeschaut auf so ein gewöhnliches Leben. Ausgezeichnet mit dem norwegischen Buchpreis und ins Deutsche übersetzt von Sylvia Kall und Ina Kronenberger.