Mia Raben: Unter Dojzcen

Rezension von Carola Nikschick in der Kategorie Buchtipps

Eine großartige Sprache, eine intensive Geschichte, ein wichtiges Thema!

„Nein, all die Polinnen, Rumäninnen, Bosnierinnen, Ukrainerinnen und so weiter, sie alle kämpften gemeinsam in der Armee der Fürsorge. Gegen Krankheit, Ohnmacht, Verfall, Alter, Einsamkeit, gegen so vieles. Verstreut wie Konfetti über die Wohnunge, Häuser und Villen Tausender und Abertausender seniorki in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Italien.“

Jola ist Polin, Mitte fünfzig, seit vielen Jahren pendelt sie zwischen ihrer Heimat und Deutschland hin und her und arbeitet als Altenpflegerin in Privathaushalten. Die Müdigkeit steckt ihr in den Knochen, bis zur Erschöpfung hat sie immer gearbeitet, jetzt ist sie wieder auf dem Weg zu einer neuen Stelle, einer Anstellung mit Vertrag, anständigem Gehalt, Versicherung und festen Arbeitszeiten bei einer wohlhabenden Hamburger Arztfamilie. Eine kleine Wohnung im Untergeschoss der Familienvilla für sie allein. Jolas soll sich um die Matriarchin der Familie, Ursula „Uschi“ von Klewen, kümmern. Sie gilt als schwierig, launisch, eifersüchtig und kontrollsüchtig.

„Sie wusste nach den ersten drei Tagen, dass sie von Frau Uschi keinerlei Schimpftiraden gegen sie als Polin zu erwarten hatte. Das war das Wichtigste. Nein, hier ging es um persönliche Würde. Die Selbstbestimmung einer stolzen Frau, die sich daran gewöhnen musste, auf Hilfe angewiesen zu sein.“

Mit ihrer liebevollen Hartnäckigkeit und Geduld gewinnt Jola Uschis Vertrauen und Respekt und sie beginnen sich aus ihrem Leben zu erzählen. Jola, die so furchtbare Erfahrungen in anderen Familien gemacht hat, einen schrecklichen Fehler begangen und ihre inzwischen erwachsene Tochter so sehr vermisst. Uschi, die aus Ostpreußen fliehen musste und ebenfalls ein großes Geheimnis hütet.
Jolas Geschichte steht für unsagbar viele osteuropäische Frauen, die in Privathaushalten unter unwürdigen Bedingungen deutsche Senioren betreuen. Rund um die Uhr, schlecht bezahlt und untergebracht, ausgebeutet, bis sie unter der Belastung zusammenbrechen. Ein Zustand, der auch auf viele andere osteuropäische Arbeiter*innen in Handwerksberufen, bei Servicedienstleistern, und Transportunternehmen zutrifft.
Mia Raben beschreibt das Leben der Menschen zwischen den Kulturen, die wochenlang von ihren Familien getrennt sind, mit Einsamkeit und unsagbarer Erschöpfung kämpfen, sehr eindringlich und respektvoll.

 

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